Seit September 2021 darf sich Dirk Uhlig als “IFSC-Chefroutenbauer” bezeichnen. Somit ist er offiziell berechtigt Lead als auch Boulder Routen auf internationalen Wettkämpfen zu kreieren. Neben Christian Bindhammer ist er der einzige Deutsche, der diese Lizenz innehat.
Wir haben uns mit ihm unterhalten: Wie kam er zum Schrauben, wie sah sein Werdegang aus, erinnert er sich noch an den ersten Weltcup und wie geht’s denn jetzt eigentlich weiter?
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Caro: Hey Dirk vielen Dank, dass du Lust hast uns einen Einblick in deine Geschichte als Routenbauer zu geben und natürlich auch auf diesem Wege nochmal herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung als internationaler Chefroutenschrauber! 💥🚀
Aber lass uns doch mal ganz von vorn anfangen... 😉 Wie bist du eigentlich zum Schrauben gekommen?
Dirk: Als ich 2000 mit dem Klettern in Erfurt, Thüringen, angefangen habe, musste ich wohl oder übel mit dem Schrauben anfangen. Der Grund war einfach: Ich konnte recht schnell alle Routen in der Halle klettern und hab mich gelangweilt. Durch meinen Leistungssport Background und mein Sportstudium hat mich das Klettern so gehookt, dass das Kreieren neuer Bewegungen super interessant wurde.
Damals gab es recht wenige Hallen und erst recht wenige, die Steine an die Wand geschraubt haben.
Caro: Das kann ich mir gut vorstellen, dass du von Beginn an total begeistert warst! Aber ich weiß gar nicht mehr, wie die Hallen vor 20 Jahren aussahen - hier bei uns im Pegnitztal gab’s einen alten Feuerwehrturm und auch eine ehemalige Scheune mit Routen. Aber wie war’s in den Städten? Und war das Schrauben dann auch direkt dein Job, mit dem du dir dein “täglich Brot” verdient hast?
Dirk: Ja genau, es gab bereits erste Hallen, aber es gab noch nicht die Boulderhallen und den Routenbau, wie wir sie heute kennen. 2000 war Routenbauer noch kein Job. Neue Hallen wurden geplant und gebaut, aber das Setzen neuer Routen wurde dabei nicht mit in die laufenden Kosten gepackt. Ich kenne Touren die damals 10 Jahre in der Wand hingen.
So bin ich dann auch gleich 2001 in den Wettkampfsport gerutscht und hab die erste Meisterschaft geschraubt. Von da an war der Routenbau ein Job, in dem ich mich ausdrücken und entwickeln konnte.
Mittlerweile ist der Zähler (Wettkämpfe die ich geschraubt habe) über 300. Ich weiß nicht ob ich jetzt ein besserer Schrauber bin, aber ich hab sicher die meisten Fehler machen dürfen und auch was daraus lernen können.
Caro: Lass uns nochmal zurück zu deinem Werdegang als Schrauber kommen - Was waren denn wichtige Stationen auf dem Weg für dich?
Dirk: Wichtig war das Jahr 2006 - da ging ich dann „all in“, hab meine Nationale Lizenz machen dürfen und schraubte die deutschen Meisterschaften. Spätestens als der damalige Bundestrainer Udo Neumann mich mit in die Kadertrainings geholt hat, wurde die Sache ernst und anspruchsvoll.
2013 haben dann Stefan und ich das E4 aufgebaut. Damit hatte ich eine Base, um vieles auszuprobieren und vor allem klopften die ersten National Team an die Tür. Auf einmal standen Weltmeister in der Halle, die gehört haben, dass das E4 und unser Routenbau sie weiterbringen kann. Japan, Slowenien, Frankreich, Amerika, … viele Nationalteams wurden mit Trainings, Wettkampf Simulationen oder Masters wie unser „Masters of Stone“ versorgt.
Das ganze ist aber eine Win-Win Situation! Als Schrauber kann ich nur gut sein, wenn ich die Athleten kenne.
Caro: Du brauchst also die Athleten und Athletinnen, um selbst gut sein zu können, aber was ist mit ihnen?
Dirk: Angenommen du denkst dir die verrücktesten Bewegungen aus und Mensch kann sie umsetzen! Eine Welt ohne Jannja, Tomoa, Akijo, ... wäre traurig für mich! Ich lerne an den Sportlern & Sportlerinnen und sie lernen an mir, zu was der menschliche Körper alles im Stande ist!
Caro: Verstehe - aber was bringt es denn nun mir, wenn ich im E4 orange klettere, wenn du diese Boulder schraubst, aber eigentlich ja für die Besten unserer Sportart ausgebildet bist?
Dirk: Sehr viel, weil von der Sache wollen alle nur das eine - da hinauf! Es verlangt mega viel Empathie eine Route so zu kreieren, dass die entsprechende Zielgruppe sie ansprechend, fordernd, gerade richtig schwierig findet und dass sie vielleicht auch noch toll aussieht! Dieses Vermögen konnte ich mir auf den Wettkämpfen aneignen - egal ob Kidscup, Jugendmeisterschaften oder WM.
2015 konnte ich das erste mal beim Weltcup in München mitschrauben. Die Stimmung und der Leistungsdruck den perfekten Boulder zu bauen haben mich von da an nicht mehr losgelassen und ich habe mich um eine internationale Lizenz bemüht. Einen großen Dank an Stefan, denn das ganze hatte zur Folge das ich 30 Wochenenden irgendwo auf der Welt war und für Topathleten geschraubt habe und jeden Kletterer & jede Kletterin studieren konnte.
Caro: Na ich hoffe mal, unser Otte liest den Bericht hier und freut sich über deine Worte! 😉 Wie steht es denn sonst um die Aufgaben als internationaler Routenbauer? Was machst du wenn du nicht im E4 abhängst oder um die Welt jettest?
Dirk: Unter Bundestrainer Urs Stöcker betreue ich die Trainingslager unseres deutschen Nationalteams und auch Simulationen sowie die Wettkämpfe als Techniktrainer. Wir versuchen das Team mit allen Skills auszustatten. sodass sie auf internationaler Ebene mithalten können. Da bedarf es viel Analyse des Wettkampfgeschehens, Beobachtung der anderen Nationalteams - vor allem der Weltklasse - und natürlich der Entwicklung des Routenbau in Zukunft.
Caro: Und wie kamst du zu deinem neuen Titel?😉
Dirk: Die IFSC (internationale Föderation für Sportklettern) hat sich meiner Bewerbung angenommen und nun bin ich "Continental Chef Routesetter" und neben Christian Bindhammer der einzige Deutsche, der internationale Wettkämpfe schrauben darf.
Caro: Mega stark, Dirk! 😁 Verändert sich denn dadurch was für uns im E4?
Dirk: Wir sind ja bekannt für einen abwechslungsreichen und ideenreichen Schraubstil. Dafür gibt’s ein mega engagiertes Team unter Armin Mittesser . Die letzten Jahre hatten wir so viele kreative Köpfe, die das Level immer weiter gepusht haben, um alle Kletterinteressierten & Boulderbegeisterten abzuholen und sie mit verrückten Problemen zu fordern. Wir haben den Anspruch das Ganze noch zu verbessern!
Caro: Und muss ich Angst haben, dass es fortan nur noch Weltcupboulder mit verrückten Sprüngen gibt? 😂
Dirk: Sicher nicht!😉 Denn Moves, die für die Olympiasiegerin Jannja Garnbret möglich sind, kann man auch soweit anpassen, dass sie auch mal in einem grünen Boulder verbaut sind. Wir haben eh ca. 60 Boulder in einer Farbe und dadurch steigt die Bandbreite an Abwechslung noch weiter. Und der Spielplatz zum Austoben und Kreativ-Werden für das Routenbau-Team konzentriert sich vermehrt auf die Wettkampfwand.
Caro: Und was ändert sich sonst noch - was ändert sich auch für dich?
Dirk: Sicher werdet ihr immer öfter Menschen in der Halle treffen, die unglaublich gut klettern können! Die Athletinnen & Athleten sind ja immer auf der Suche sich zu verbessern. Da werden sie sicher auch im E4 landen. Es wäre ja schade, wenn beim nächsten Weltcup ein Problem von mir hängt mit Moves, die sie vorher nicht wenigstens schon einmal gemacht haben.
Die Weltcup Ebene ändert sich stets und vor allem seit "Klettern bei Olympia " ins Gespräch gekommen ist, sind die Weltcups explodiert. 350 Startplätze war ein Spitzenwert, der uns 21h Arbeitstage bescherte. Und Zuschauerzahlen bis zu 1 Million. Da ist man mega angespannt und motiviert das alles mega wird. Diesen Leistungsdruck auf die Minute genau brauch ich 😁
Caro: Also ich bin gespannt auf Veränderungen und auf die starken Leute und diese neuen Moves von dir und sag schon mal VIELEN DANK Dirk für die Einblicke. Ich wünsch dir weiterhin viel Freude am Routen-Kreieren und genau diesen Druck, den du dafür brauchst! 🙂 Möchtest du deine Geschichte noch abrunden?
Dirk: 2000 hatte ich sicher noch keine Vorstellung, dass ich 2021 internationaler Chef Routesetter werde. Die Reise endet hier, da es die höchste Qualifikation als Schrauber ist. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es wieder ein neuer Anfang - Ein Anfang, um ein besserer Routenschrauber zu werden!
Und Danke muss ich sagen! An alle die mich auf diesem Weg unterstützt und gefördert haben: Das sind in erster Linie meine Freunde und Schrauberkollegen die diese Passion mit mir teilen, alle Sportlerinnen & Sportler, die unter meinen geistigen Ergüssen „leiden“ mussten, das E4 als perfekte Spielwiese, um neues auszuprobieren, allen Trainerinnen & Trainern und dem DAV, die mich motiviert haben besser zu werden.
Lust auf noch mehr Insights zum Routenbau, dann schaut euch noch dieses ältere Interview mit Dirk von der Kletterszene an: Link.
Und wenn du Pogo bisher nur mit Punkrock in Verbindung gebracht hast, dann empfehlen wir dieses Trainingsvideo von Einfach Klettern mit natürlich - unserem Dirk: Link.
Bilder: Privatarchiv Dirk
Text: Dirk Uhlig & Caro Taubmann